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PREIS DER ZEICHNUNG 2012
 

 

Dr. Uwe Degreif als Mitglied der Jury

zur Eröffnung der Ausstellung "Mensch im Raum"

im atelier laubbach

 

Sehr geehrte Eröffnungsgäste,

ich möchte Ihnen erläutern, wie die Jury zu den drei Preisträgern gefunden hat. Aus meiner Sicht war es ein Weg mit Wendungen, kein gerader Pfad, der auf kürzester Entfernung auf die Prämierten zusteuerte. Mehr ein Suchen und Abwägen, an dessen Ende auch für uns Juroren etwas Überraschendes stand.

Nachdem wir uns für die zehn Ausstellenden entschieden hatten, bekam jeder der fünf Juroren drei gelbe Zettel, die wir auf diejenigen Kandidaten aufteilen sollten, die wir für preiswürdig hielten. Diejenigen, die die meisten Zettel auf sich vereinigten, sollten dann eingehend diskutiert werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir acht der zehn Ausstellenden mal mehr, mal weniger intensiv besprochen. Wir hatten Kritik und Zuspruch formuliert und uns nach dem Zusammenhang der drei eingereichten Arbeiten gefragt. Während dieser etwa zweistündigen Diskussion hatte sich kein Favorit abgezeichnet. Umso größer war die Überraschung, als alle Juroren ihre Karten verteilt hatten: Jeder hatten eine Karte bei einer Künstlerin abgelegt, die wir bislang noch gar nicht unter die Lupe genommen hatten. Offensichtlich gab es für die drei kleinformatigen Zeichnungen von Elisabeth Richter eine stille Sympathie. Jetzt war sie mit allen Stimmen in den Kreis der Preisträger hineingeholt. Aber sollte sie auch die Siegerin der 187 teilnehmenden Künstler sein? An dieser Stelle begann eine grundsätzliche Diskussion, die ich Ihnen kurz wiedergeben möchte.

Dazu muss ich unterstreichen, dass es nicht nur unter den teilnehmenden Künstlern eine große Vielfalt gibt, auch die Vorlieben von Juroren sind verschieden. Wenn eine Jury einen Preis vergibt, dann unterstellt man stillschweigend, dass alle Beteiligten mit dem selben Blick schauen und dass nahezu alle dieselben Kriterien bei der Beurteilung anlegen, auch wenn sie sich nie zuvor gesehen haben. Man nimmt an, dass sie sich darin einig sind, welchen Stellenwert bspw. die Farbe hat, welcher Stellenwert dem Handwerklichen beim Zeichnen zukommt, wie der Titel zu gewichten ist. Man unterstellt, dass sie einträchtig die Bedeutung des Format beurteilen – also die Frage, ist eine gelungene Zeichnung im großen Format höher zu bewerten als eine im kleinen Format, weil sich im großen Format bspw. die Schwächen bei der Ausarbeitung der menschlichen Physiognomie schneller zeigen. Eine solche Annahme täuscht, auch in einer Jury sprechen mehrere Stimmen, nur müssen sie zu einer Entscheidung kommen.

Seit ein paar Jahrzehnten ist Kunst Vereinbarungssache, niemand vermag allgemein verbindliche Kriterien aufzustellen, was gute Kunst ist und was nicht. Allerdings, und dies ist eine Erfahrung, die alle machen, die einmal in einer Kommission mitgewirkt haben oder Künstler für eine Ausstellung auswählen durften, im Verlaufe einer Diskussion über konkrete Kunstwerke stellt sich heraus, ob ein Werk höher oder weniger hoch bewertet werden soll. Der Vergleich der Werke erlaubt eine Gewichtung - solange die eigenen Kriterien formuliert werden. So kritisierten wir im Verlauf der Jurierung mehrfach die fehlende Sicherheit in der Wiedergabe der menschlichen Figur – schließlich lautete das Thema "Mensch im Raum". Wir kritisierten nicht, wenn ein Bein verzeichnet war oder ein Ellbogen zu weit herausragte, das kann zu einem überraschenden Eindruck führen, aber es musste gekonnt verzeichnet sein. In einer bewussten Abänderung erweist sich das Beherrschen der Figur genauso wie in ihrer idealen Wiedergabe. Wer im Betrachten von Kunst geübt ist, der merkt, ob der Künstler etwas noch nicht beherrscht oder ob er in der Lage ist von seinem Können zu abstrahieren.

Ein weiteres Kriterium war das Verbindende der drei eingereichten Blätter. Gibt es eine eigene Fragestellung und Idee oder dominiert das Zufällige? Gibt es eine verbindende Handschrift oder überwiegt das Unbeabsichtigte? Und wie sieht es mit dem Raum aus? Ist Raum bloß ein Hintergrund, der sich mehr oder weniger unbestimmt öffnet oder wird Raum zu einer eigenen Aufgabenstellung, vielleicht zum Gebiet für eine eigene Welt?

Welcher Raum war jeweils gemeint? Der vertraute dreidimensionale Raum, der uns mit den Figuren im Bild gemeinsam ist? Oder ist mit Raum eine Art inneres Gelände gemein, vielleicht ein psychischer Bezirk? Meint Raum etwa den digitalen Raum, der unser Leben immer mehr definiert und ganz andere Koordinaten aufmacht? Oder vielleicht den medialen Raum mit seiner Bilderflut, in dem wir uns alle bewegen und aus dem sich keiner entfernen kann, egal, ob er hier in Laubbach oder in Berlin lebt? Vielleicht der Raum der Kunstgeschichte, also der Bezug zur Tradition der Kunst?

Die Frage nach dem Raum wurde aufgeworfen, aber nicht verbindlich beantwortet, wozu auch. Es galt einen Konsens zu finden, welche der beteiligten Künstler eine schlüssige Lösung eingereicht haben. Die Entscheidung fiel auf Elisabeth Richter. Natürlich stellte sich angesichts ihrer Motive und ihres Strichs die Frage nach der "Zeitgemäßheit". Irgendwie war uns der Duktus bekannt, wir konnten nichts "Neues" ausmachen. Diese drei Zeichnungen genügten dem Anspruch "Modernität" nicht in vollem Umfang. Aber was ist das "Zeitgemäße" und was wäre das "Unzeitgemäße"? Wenn wir davon ausgehen, dass den Künstlern heute eine Vielzahl an zeichnerischen Formulierungen zur Verfügung stehen, dann muss als "zeitgemäß" auch die bewusste Wahl aus diesem riesigen Angebot gelten. Die bewusste Auswahl in dem Wissen um die historische Bedingtheit der eigenen Formulierung. Die formale Neuerung ist nach einhundert Jahren moderner Kunst notwendig begrenzt, die meisten Kontinente sind auch zeichnerisch entdeckt und es gibt ein Wissen um das, was Generationen an Künstlern zuvor zustande gebracht haben. Die mit diesem Wissen erfolgte Auswahl muss zumindest Bedenken gegen das allzu sicher Hingesetzte hervorrufen. Deshalb gab es auf Seiten der Juroren ein deutliches Misstrauen gegen das Virtuose, gegen das allzu gewiss Gezeichnete. Virtuosität kann Staunen hervorrufen, aber häufig überdeckt sie die fehlende künstlerische Idee. Als virtuos kann man keinen der drei Preisträger bezeichnen. Ihre Zweifel beim Fertigen sind spürbar.

Bis wir fünf Juroren unsere mit Erstaunen getroffene Wahl noch einmal bekräftigen konnten, mussten weitere Zweifel ausgeräumt werden. Es stellte sich die Frage: Gibt die mögliche Gewinnerin Elisabeth Richter einen Blick aus der Gegenwart oder zitiert sie Vergangenes? In welcher Welt leben ihre Figuren – offensichtlich in einer Welt, in die weder Design noch digitale Medien eingedrungen sind. Man könnte sagen: In einer Welt der klassischen Begegnung von Papier und Bleistift, altmodisch in der Herangehensweise, aber beständig in der Wirkung. Eine spürbare Verlangsamung tritt beim Betrachten ein, kein rasches Abtasten von Oberflächen. Die drei Blätter weisen eine große Nähe zum Gegenstand auf, sie sind unprätentiös, basieren auf einer strengen Beobachtung. Der zeichnerische Vorgang verdichtet und verdichtet, er öffnet einen Raum durch Dunkelwerte, hält eine Nähe zum Malerischen. Elisabeth Richters "Menschen im Raum" sind sehr in ihrem Inneren beheimatet. Die Entscheidung blieb einstimmig.

Den 2. Preis vergaben wir an Michel M. Seine Blätter zeigen jene Struktur, die uns die mediale Welt zumutet. Elemente aus der Popkultur, Versatzstücke aus Texten und mutierte Körper ergeben ein Gefüge, das wir fortwährend neu zu sortieren haben. Hier überlagern sich die Eindrücke, die Informationen, die Lockreize geradezu surreal. In den Werken von Michel M. ist die Beschleunigung spürbar und wird das Scannen medialer Oberflächen zur täglichen Übung.

Für den 3. Preis bestimmten wir Michel Meyer, weil er auf humorvolle Weise eine eigene, verhalten farbige Bildwelt entstehen lässt. Der Raum bei ihm ist eng, es wimmelt von Menschen. Michel Meyer zeichnet sich in einem Akt des permanenten Verrätselns vom Kleinen zum Kleineren. Er überschreibt und bindet Auftauchen und Verschwinden in einen künstlerischen Prozess.

Abschließende Frage: Kann etwas Verallgemeinerndes über die zehn ausgewählten Künstler gesagt werden? Aus meiner Sicht wären das: Der pure Bleistiftstrich wird bevorzugt, es dominiert das Schwarz-Weiß, das Unbunte. Es fehlt der rohe, kantige Strich. Im Unterschied zu vorangegangenen Jahrzehnten finden sich kaum fragmentierte Körper, der beschädigte Körper ist keine Metapher mehr für gegenwärtige Befindlichkeit, ebenso wenig der sexualisierte Körper. Eher die Mutation, das aus den Fugen Geratene. Das Motto "Mensch im Raum" wendeten fast alle Teilnehmer für sich in "Menschen im Raum", also ins Plural, weshalb das Abbild des Einzelnen in der Ausstellung weitgehend fehlt.

Ich gratuliere den Preisträgern und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Uwe Degreif, Museum Biberach



atelier laubbach ATELIER UND GALERIE Riedwiesen 9 88356 Ostrach-Laubbach
T 07585-935361 www.atelierlaubbach.de

 

 

 

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